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Website © S. Falkenstein |
NS "Euthanasie" & Zwangssterilisation Ausgrenzung - Entwürdigung - Vernichtung
Anna Lehnkering (links)
Opfer der "Aktion
T4" in der Gaskammer von Grafeneck |
Annas Schicksal - der Anlass für diese Website Diese Website entstand, nachdem ich 2003 per Zufall erfahren hatte, dass Anna, die Schwester meines Vaters, Opfer der NS-"Euthanasie" war. Im Verlauf meiner Spurensuche fand ich drei Stationen, die ihren Leidensweg von der Ausgrenzung, über die Entwürdigung, bis hin zur psychischen und schließlich physischen Vernichtung markieren. Im Februar 1935 wird Anna im Ev. Krankenhaus der Stadt Mülheim a.d. Ruhr zwangssterilisiert. Im Dezember 1936 erfolgt ihre Einweisung in die Heil- und Pflegeanstalt Bedburg-Hau, wo sie drei qualvolle Jahre verbringt. 1940 wird Anna im Rahmen der "Aktion T4" in die "Euthanasie"-Tötungsanstalt Grafeneck deportiert, wo man sie am 7. März im Alter von 24 Jahren in einer Gaskammer ermordet.
Zwangssterilisation und "Euthanasie" im Nationalsozialismus An Anna wurde – wie an hunderttausenden anderen kranken und wehrlosen Menschen – der sogenannte "Gnadentod" vollstreckt. Mit dem missbräuchlich verwendeten Begriff "Euthanasie" (griech.: guter Tod) tarnten die Nationalsozialisten zynisch und beschönigend den organisierten Massenmord an Menschen, die man als "erbminderwertige Ballastexistenzen" verunglimpfte und aufgrund von rassen- und erbbiologischen Wahnvorstellungen für "lebensunwert" erklärte. Ziel der nationalsozialistischen Bevölkerungs- und Gesundheitspolitik war die Schaffung einer erbgesunden "arischen" Rasse. Ausgehend von sozialdarwinistischen Ideen, die bereits vor dem Ersten Weltkrieg - auch in anderen Ländern Europas und in den USA - Eingang in die Wissenschaften Eugenik und Rassenhygiene gefunden hatten, wurden während der NS-Zeit die politischen Instrumente geschaffen, die eine radikale Umsetzung solcher Ideen ermöglichten und zu ungeheuerlichen Verbrechen führten. In einem ersten Schritt erließen die Nationalsozialisten 1933 das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses. Es ermöglichte die Unfruchtbarmachung gegen den Willen der Betroffenen. Die Opfer waren vor allem Menschen mit Behinderungen oder psychischen Erkrankungen. Aber das Gesetz traf auch sogenannte "Asoziale", Hilfsschüler, Alkoholkranke, Homosexuelle und andere, die – warum auch immer - nicht der gewünschten Norm entsprachen. Es wird geschätzt, dass bis Kriegsende mindestens 400.000 Menschen zwangssterilisiert wurden. Ein großer Teil von ihnen wurde später im Rahmen der "Euthanasie" ermordet. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges kam es dann - beschleunigt durch ökonomische Interessen - zur völligen Pervertierung der rassenhygienischen Ideen. Im Oktober 1939 erließ Adolf Hitler eine Anordnung zur Ausrottung "lebensunwerten Lebens", zurückdatiert auf den Tag des Kriegsbeginns am 1. September 1939. In Polen wurden bereits 1939/40 Tausende Patienten erschossen oder vergast. Ab Anfang 1940 begann der staatlich organisierte Massenmord im Deutschen Reich. Nach derzeitigem Forschungsstand wurden etwa 300.000 Menschen Opfer der "Euthanasie"-Morde. Der Ablauf der "Euthanasie" kann grob in folgende Phasen eingeteilt werden:
Verdrängen und Vergessen Zwangssterilisation und "Euthanasie"-Morde wurden jahrzehntelang aus dem kollektiven Gedächtnis unserer Gesellschaft verdrängt. Auch Annas Schicksal war lange Jahre vergessen – sogar in ihrer Familie. Nachdem ich 2003 erfahren hatte, was geschehen war, bin ich den Spuren ihres Lebens und Sterbens nachgegangen. Im Verlauf dieser Spurensuche stellte ich fest, dass es nach Jahrzehnten des Verschweigens und Verdrängens immer noch kein angemessenes Gedenken für Anna und viele andere Opfer gibt. Auch stieß ich bei meinen Recherchen auf unerwarteten Widerstand und Ignoranz. Aus dieser erschreckenden Erkenntnis leitete ich für mich die Verpflichtung ab, daran mitzuwirken, dass die Erinnerung nicht verloren geht und für uns und die nächsten Generationen aufbewahrt wird. In den letzten Jahren hatte ich viele interessante und auch berührende Begegnungen mit Menschen, die dasselbe Ziel verfolgen wie ich: die Erinnerung an die Opfer der NS-Medizinverbrechen wach zu halten. All die Begegnungen ermutigen zum Weitermachen, denn "viele kleine Leute, an vielen kleinen Orten, die viele kleine Dinge tun, werden das Antlitz dieser Welt verändern."
Wandel der Erinnerungskultur Die Wahrnehmung der "Euthanasie"-Verbrechen hat sich meines Erachtens in letzter Zeit im öffentlichen und politischen Bewusstsein geändert. Dieser Wandel in der Erinnerungskultur spiegelt sich deutschlandweit wider in zahlreichen Gedenk- und Erinnerungsaktivitäten.
Ein geradezu historischer Moment war
der 27. Januar 2017, als anlässlich der Gedenkfeier für die Opfer
des Nationalsozialismus im Deutschen Bundestag zum ersten Mal die
Opfer der "Euthanasie" in den Mittelpunkt gestellt wurden. Ein
weiteres Beispiel für einen veränderten Umgang mit der Geschichte
der "Euthanasie"-Verbrechen ist an der
Berliner Tiergartenstraße 4 festzumachen. Dort erinnert die
Bundesrepublik Deutschland seit 2014 mit dem Gedenk- und
Informationsort für die Opfer der nationalsozialistischen "Euthanasie"-Morde
an die etwa 300.000 Patienten aus Heil- und Pflegeanstalten sowie
»rassisch« und sozial unerwünschte Menschen, die während der Zeit
des Nationalsozialismus im Deutschen Reich und im besetzten Europa
als "lebensunwert" getötet wurden.
Vertiefende Informationen
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